der Agnostiker

(die männliche Form bezieht sich auf den Verfasser)  

Gibt es einen Vorzugsgott?

Den heutigen Menschen, den Homo Sapiens, gibt es seit mindestens 200'000 Jahren. Über diese Zeitspanne entstanden und vergingen viele Kulturen und mit ihnen ihre Götter.

Der Gott Abrahams, den Juden, Islamisten und Christen verehren, ist demgegenüber kaum 4000 Jahre alt. Erdacht wurde dieser Gott durch Juden in babylonischer Gefangenschaft, verwoben mit viel älteren überlieferten Geschichten.

Dass dieser relativ neu erfundene Gott, DER WAHRE, EINZIGE und EWIGE sein soll entbehrt jeder Grundlage. Es handelt sich um eine gesellschaftlich sanktionierte Verschwörungstheorie.

Glauben oder Denken wird zum exklusiven Oder, sobald es konkret wird.
Der Agnostiker entscheidet sich für das Denken. Unter Denken sei hier verstanden: Hinterfragen und in Frage stellen ohne Tabu. Dazu braucht es keine besondere Bildung, nur Wachheit.

Als Agnostiker habe ich kein Wissen von Gott, weil sich Gott jeglicher Wahrnehmung entzieht. Ich weiss nicht, ob es Gott gibt oder nicht, weiss nicht, was unter Gott subsumiert werden soll. Es ist das wesentliche Attribut Gottes, mit unseren Sinnen nicht fassbar zu sein -- sonst wäre er eine Sache dieser Welt und bräuchte nicht geglaubt werden.

Da es keine Wahrnehmung von Gott gibt und in den letzten zweitausend Jahren nichts auf eine mögliche Existenz je hingedeutet hätte, ist es für den Agnostiker irrelevant ob er existiert oder nicht. Nennen wir Gott -  sinngemäss nach Kant - "eine ­ regulative Idee". Zu Gott als Idee passt gut, dass jede und jeder ihren bzw. seinen individuellen Gott haben kann. 

Eine ganz andere Sache ist, was Menschen von Gott zu wissen behaupten.

Behauptungen auf der Basis orientalischer Mythen und Phantasmen, wie sie durch die Verwalter all der monotheistischen Religionen aufgestellt werden. Bei den Christen macht die Konfession  wenig Unterschied; wenn schon glauben, warum nicht auch an die Unfehlbarkeit eines machtbesessenen, alten Mannes.

Andere Religionsgemeinschaften leiten aus ihren Mythen gar territoriale Ansprüche ab. Wieder andere sehen im Verstümmeln oder Steinigen von Frauen, im Abhacken von Händen, den Willen ihres Gottes verwirklicht.


Warum die kritische Auseinandersetzung?
Weil die Trennung von Kirche und Staat in keiner Weise verwirklicht ist.

Solange der Staat (wie in der Schweiz) Steuern für Kirchen eintreibt, konfessionelle Theologien an Universitäten und anderes finanziert, muss sich jeder Demokrat, jede Demokratin, aufregen.
Wenn schon universitäre Ausbildung, dann eher ein überkonfessioneller Lehrstuhl für Demagogie.

Der Glaube - und das trifft mindestens auf die drei Monotheismen zu - will nicht wissen. Das Wissenwollen ist aber Grundlage des Denkens. «Glauben heisst Nicht-wissen-wollen, was wahr ist [..]» (Nietzsche F., Antichrist: KSA6)

Das Lesen der sogenannten Heiligen Schriften, kritisch und befreit von scheinbaren Selbstverständlichkeiten, kann dennoch interessant sein: Es begegnen uns Legenden und allgemeine Weisheiten. Für Orientalen, und das waren die Verfasser, war das Entwickeln von Geschichten, das Anreichern und Bereichern mit eigenen Sichten und Absichten, das Normalste. Es sind offensichtlich keine Tatsachenberichte, sondern Bezeugungen, was die Verfasser glaubten oder ihre Gemeinden glauben machen wollten.

Das alte Testament bietet interessantes archetypisches Material. Dort finden sich Plots, die auch in anderen Kulturen vorkommen oder diesen entlehnt wurden. Sie haben die Kraft des Naiven und Allgemeingültigen, während einem im Neuen Testament wenig glaubwürdiges begegnet. Moralische Ansprüche, wie die der Feindesliebe, sollen ein Klima des Ungenügens schaffen, als Voraussetzung für den Bedarf des Erlöstwerdens.

Da in der Jesus-Forschung kaum mehr neue Erkenntnisse zu erwarten sind, sei vorab ein gewisser Konsens wiedergegeben, der selbst von TheologInnen nicht angefochten wird:

  • Es gibt keine schriftlichen Quellen über Jesus, die zu seinen Lebzeiten verfasst worden wären.
  • Keiner der Verfasser der Evangelien ist aus der Generation Jesu. (Das Markus-Evangelium gilt als das älteste der Evangelien und wurde ca. 70 komponiert. Dennoch wurde von den anonymen Verfassern der Evangelien mit Pseudonymen wie Lukas, Markus, Johannes etc. versucht den Anschein zu erwecken, Jünger Jesu hätten die Berichte verfasst.
  • Dass die griechischen «Urtexte» nicht in Palästina entstanden und bereits Übersetzungen aus dem Aramäischen oder Hebräischen waren.
  • Dass die Autoren der Evangelien zeitlich und geographisch weit vom Geschehen entfernt waren. Die griechischen Texte lassen jedenfalls auf Autoren ausserhalb des jüdischen Raums schliessen.

Beispiele:

Die Art, wie die Juden im Mathäus- und Johannesevangelium dargestellt werden, schliesst Zeitgenossen Jesu als Verfasser aus. Jesus, seine Jüngerinnen und Jünger, sie alle waren Jüdinnen und Juden -- ausser den Besatzern. Keiner würde so über sich und seinesgleichen sprechen. Viel spätere Generationen von Schreibern waren am Werk, die sich nicht mehr zum Judentum zählten, Urchristen vielleicht, die gab es allerdings erst gegen Ende des ersten Jahrhunderts.

Interessant sind Nachbesserungen wie beim Markusevangelium. Dieses endete anscheinend mit Kapitel 16, Vers 8 (leeres Grab). Die Jahrzehnte später angefügten 12 Verse fügen eine Auferstehungsgeschichte hinzu. (ExpertInnen setzen den sekundären Markusschluss im zweiten Jahrhundert an).

Achtung: Wenn in einem Text steht "...damit die Schrift erfüllt würde", kann man/frau davon ausgehen, dass der Autor mit seiner Geschichte der Schrift zur Erfüllung verhelfen wollte.

Dass es den jüdischen Wanderprediger, Jesus, gegeben hat, ist wahrscheinlich. Allerdings muss er für seine Zeitgenossen unbedeutend gewesen sein, wird er doch ausserhalb der Bibel nicht erwähnt. Es scheint, dass er sechs Geschwister hatte:  vier Brüder und zwei Schwestern (Matth. 13, 55-56). Ob Jesus der älteste Sohn Marias ist, ist nicht belegt. Vom Vater wird nichts übereinstimmendes berichtet. Jesus wird wiederholt als Nazarener bezeichnet, was seine Geburt in Nazareth voraussetzt. Die Geschichte mit Bethlehem macht keinerlei Sinn, wie Uta Ranke-Heinemann mehr als plausibel darlegt (Hamburg, 1992).

Was Jesus gesagt und getan haben soll, darüber gibt es nur Legenden. Sein erster Auftritt war bei Johannes dem Täufer im Jahr 29 (das ist durch die Hinrichtung von Johannes belegt). Jesu Hinrichtung dürfe höchstens ein Jahr später gewesen sein, meinen HistorikerInnen. Sein Wirken, muss sich in nur einigen Monaten abgespielt haben.

Als Wanderprediger zog er mit seiner Anhängerschaft durch die Gegend. Sein Auftreten erregte nicht nur bei den Geistlichen Argwohn, seine Verwandten erklärten ihn schlicht für verrückt (Markus 3,21). Er hat die Tora mehrfach verletzt, und das war der Inbegriff von Sünde. Seine Sünde. Nicht unsere. Er hatte sich mit den Mächtigen angelegt und das war damals wie heute eher ungesund. Zumal die Galiläer, bekannt als Querulanten und Aufrührer, für die Römer etwa das waren, was für die Amerikaner die Taliban heute.

Die Römer haben Aufrührer routinemässig an Kreuze gehängt -- zur Abschreckung der Leute und zur Freude der Geier. Falls er nicht zu früh abgenommen wurde, wie in den Evangelien berichtet, wegen der Sonnenfinsternis. Pilatus konnte angeblich kaum glauben, dass er schon tot wäre. Wer weiss, ob er es war? Der Schreiber des Johannes-Evangeliums, der phantasievollste von allen, begegnete dem Argwohn mit der Ergänzung durch den Speer in seiner Seite (Joh. 19,33).

Eigenartig, dass der Auferstandene Wundmale an Händen und Füssen gehabt haben soll. Wieso war der Auferstandene im alten, versehrten Körper? War er doch nur Halbtot, zu früh abgenommen? Oder, die schreckliche Alternative: müssen die Gläubigen damit rechnen, samt ihren Hämorrhoiden in die Herrllichkeit ihres Herrn eingehen zu müssen? (Als wäre ewiges Halleluja-Singen nicht Plage genug.)

Die viel beschworenen Leiden Jesu wären zu relativieren in Bezug zu den ungleich grösseren Leiden der zehntausenden von Frauen, die während der Inquisition zu Tode gefoltert wurden: im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.

Die Kirche zelebriert gerne Sünden und Leiden. So soll Jesus für unsere Sünden gestorben sein. Eine seltsame Aussage. Nicht sehr (chrono-) logisch. Aber vielleicht sind Sie, liebe Leserin, lieber Leser, sogar von der Erbsünde befallen! Das soll es auch noch geben.

Anscheinend muss der Mensch irgendwie sündig gemacht werden, um der Erlösung zu bedürfen. Unter Vermittlung der Kirche natürlich. Modernstes Marketing -- und das seit Jahrhunderten. Etwas vom Wenigen, wofür die Kirche Achtung verdient.

Wer hat die «Vergottung» (Begriff von Adolf Holl) von Jesus erfunden? Vermutlich niemand aus seiner Zeit. Paulus könnte der eigentliche Erfinder des Christus sein: er hat als erster die Vergottung Jesu betrieben. Er war die vielleicht die schillernste Figur, die Eingang in den Kanon fand. Ehrgeizig und von missionarischem Eifer beseelt. Religiöse Eiferer wie Paulus warteten ungeduldig auf den Messias und so musste einer her. Und wenn Jesus nicht wie versprochen persönlich wiederkam, als Bote versagt hatte, wurde er kurzerhand zu Gott verklärt.

Warum wurde gerade Jesus zum Medienopfer vergottungswütiger Evangelisten? Warum auch nicht, kann man/frau sagen. Zwar hätte sich Johannes der Täufer als Messias ebenso gut geeignet. Dann wäre des Erlösers Haupt Salome auf dem Tablett serviert worden. Und der Auferstandene hätte seinen Jüngern mit dem Haupt unter dem Arm erscheinen können. Wie es sich für richtige Geister gehört.

Gläubige fragen sich immer wieder und vergebens, wie Gott das oder jenes zulassen konnte. Als könnte Gott als eine regulative -- oder viel mehr fixe -- Idee ein Erdbeben verhindern, einen amerikanischen Präsidenten vom Krieg abhalten oder irgend etwas verhindern -- ausser das Denken.

Anregung:
Verschwenden Sie Ihre Energie nicht durch Diskussionen mit Gläubigen. Wo Glaube herrscht, ist Argumentation sinnlos.

Anmerkungen zur Literatur (keine Literaturliste):

  • Die Sicht Friedrich Nietzsches auf das Christentum ist umwerfend. Ein scharfsinniger und selbstkritischer Freigeist – seiner Zeit weit, weit voraus. Zu finden in verschiedenen seiner Texte, nicht nur in «Der Antichrist».
  • Die Übersetzung des Neuen Testaments und anderer frühchristlicher Schriften von Klaus Berger und Christiane Nord ist nicht übel, der klaren Sprache und den Angaben zur Entstehung der jeweiligen Texte wegen. Obschon unüberlesbar: Berger ist Theologe.
  • Von Adolf Holl ist dem Verfasser nichts bekannt, das nicht brilliant wäre.
  • Und, wenn Sie's emotional mögen: Heinemann, Uta Ranke: Nein und Amen, 1992
  • Am wissenschaftlichsten: Bornkamm, Gühther: Jesus von Nazareth, 1995 (15. Auflage)
  • Der Film: Life of Brian, 1979 by Monti Python
  • Das ultimative Werk: Polt, Gerhard und Sowa Michael: Halleluja, die Bethlehem Saga, zeitlos
  • Und, ein Mythos auf dem Prüfstand: Shlomo Sand: Die Erfindung des jüdischen Volkes, 2011